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1/2025: Praktiken und Institutionen der Solidarität – sozialethische und politisch-theologische Perspektiven
Die Solidarität ist zurück – auf den Straßen, in gesellschaftlichen Salons wie politischen Reden und auch in theoretischen Debatten. Nach Jahrzehnten der Dominanz des neoliberalen Paradigmas der Privatisierung und durchgreifenden Modernisierung ist die Renaissance des Solidaritätsbegriffs für die einen überraschend und die anderen nur folgerichtig. Wieder andere dagegen diagnostizieren einen erhöhten Druck, aus Solidarität mit einer überforderten Gesellschaft eigenverantwortlich zu handeln – und damit eine neue Variante des Neoliberalismus. Insbesondere die Diagnose einer verfestigten Situation multipler, sich überlagernder Krisen lässt den Rückgriff auf Solidarität zunächst plausibel erscheinen. Ob die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und seine (welt-)wirtschaftlichen und politischen Folgen, die ökologische Katastrophe, die prekäre Lage von Flüchtlingen und Migrant:innen oder auch das Aufbrechen neuer Polarisierungsthemen: Solidarität scheint ein ewiger Jungbrunnen zu sein, wenn es darum geht, eine gemeinsame (Not-)Lage zu adressieren sowie für deren Überwindung die Kraft des Zusammenhalts und damit auch die Einsatzbereitschaft der einzelnen zu mobilisieren.
Allerdings fällt auf, dass Solidarität nicht einfach in ihren klassischen Gestalten als Movens gewerkschaftlicher Bewegung und als in wohlfahrtsstaatlichen Institutionen realisiertes Sozialprinzip wiederkehrt. Gerade zeitgenössische Debatten über Solidarität betonen deren umstrittenen, umkämpften, ambivalenten Charakter: Wie weit reicht Solidarität angesichts der fortschreitenden Zerstörung der planetaren Lebensgrundlagen? Wen schließt sie unter dem Eindruck fortdauernder kolonialer und patriarchaler Verhältnisse ein und wen aus? Von wem werden welche solidarischen Anstrengungen verlangt – zu wessen Vorteil? Wer hat Zugang zu solidarischen Institutionen, soll diese stützen und profitiert von ihnen? Inwiefern werden also Solidarisierungen von Desolidarisierungen begleitet und handelt es sich dabei um unumgängliche Prozesse? Entgegen einer offenbar vorhandenen intuitiven Plausibilität in gesellschaftlichen Zusammenhängen bedarf der Begriff der Solidarität heute einer Konturierung, die sich auch anderen als den bekannten Formen und Strukturen der Solidarität zuwendet.
Somit legt sich nahe, vor allem das Verhältnis von Praktiken und Institutionen der Solidarität zu fokussieren und dabei mit einer besonderen Sensibilität für Kontexte, In-/Exklusionen und soziale (Macht-)Verhältnisse vorzugehen. Ein gegenwartstaugliches Verständnis von Solidarität lässt sich nur über eine Vielfalt an Perspektiven und Kontexten sowie im Verhältnis zu anderen Schlüsselbegriffen und Grundkategorien erarbeiten. Die Diskussion knüpft dabei an eine lange Tradition der Auseinandersetzung mit dem Solidaritätsthema in politischen Theologien und in der Christlichen Sozialethik an. Diese gilt es, vor dem Hintergrund der aktuellen Krisenlagen fortzuschreiben, zu aktualisieren oder auch neu zu justieren. Hierzu soll diese Ausgabe einen Beitrag leisten.
Redaktion: Michelle Becka, Bernhard Emunds, Josef M. Könning, Walter Lesch
2/2025: Steuern und Verschulden. Eine gerechtere Finanzierung steigender öffentlicher Ausgaben
In den vergangenen Jahrzehnten sind die Ausgaben der öffentlichen Haushalte (nicht nur) in der Bundesrepublik deutlich gestiegen. Obgleich in derselben Zeit auch die Einnahmen zugenommen haben, übertrafen die Ausgaben – mit Ausnahme der Jahre von 2014 bis 2019 – die Einnahmen. Die Corona-Pandemie ab 2020 sowie die Energiekrise 2022 haben zu Rekorddefiziten bei der Finanzierung der öffentlichen Haushalte geführt. Um die Sicherheitslage der Bundesrepublik zu verbessern, um die notwendigen Investitionen auf dem Weg zur Klimaneutralität zu tätigen und um die öffentliche Infrastruktur auf den erforderlichen Stand zu bringen, werden die öffentlichen Ausgaben auch in Zukunft steigen.
Insoweit Wirtschaft und Staat getrennt, insofern also einzelwirtschaftliche Aktivitäten dem staatlichen Recht und dem Staat hingegen einzelwirtschaftliche Aktivitäten weitgehend entzogen wurden, erhalten die öffentlichen Haushalte das zur Finanzierung ihrer Ausgaben notwendige Geld aus Steuern und nachrangig aus Gebühren, Beiträgen und Erlösen aus dem Verkauf von Vermögen. Decken die Einnahmen die Ausgaben nicht, finanzieren sich die öffentlichen Haushalte über Kredite – und können und sollen dies, nach weitgehendem Einvernehmen, immer dann, wenn entsprechende Ausgaben in langfristig wirksame Investitionen fließen.
Steuern und Kredite dienen nicht nur zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben. Durch die Art und Weise, wie der Staat seinen Ausgaben finanziert, nimmt er Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft. Vermutlich sind Steuern das neben Recht wirksamste Mittel, einzelwirtschaftliche Aktivitäten im öffentlichen Interesse zu steuern. Zudem wirken Steuern und öffentliche Kreditaufnahme umverteilend. Über die Steuern erfolgt die Umverteilung zwischen den unterschiedlichen Einkommen und Vermögen tendenziell ›von oben nach unten‹, oder genauer: könnte in dieser Richtung erfolgen und kann deswegen dazu genutzt werden, um die (in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung berechnete) Primärverteilung der Einkommen und Vermögen realwirtschaftlich auszugleichen. Dagegen erfolgt die ›Umverteilung‹ bei der öffentlichen Verschuldung notwendig ›von unten nach oben‹, also zugunsten der Vermögenden, deren Kredite mit dem Geld der Steuerzahler:innen bedient werden.
Um die Staatsverschuldung Deutschlands und dazu die Kreditaufnahme der öffentlichen Haushalte zu begrenzen, haben der Deutschen Bundestag und der Bundesrat 2009 eine Schuldenbremse in das Grundgesetz eingetragen: »Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.« (Art. 109 GG). Zwar darf bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen davon abgewichen werden. Allerdings dürfen auch dann »die Einnahmen aus Krediten 0,35 von Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten« (Art. 109 GG). Obgleich auch sie unter diese grundgesetzliche Schuldenbremse fallen, haben sie einige Bundesländer in ihre Landesverfassung übernommen. Die nationale Schuldenbremse verschärft die Fiskalregeln, die auf der Europäischen Union seit dem ›Stabilitäts- und Wachstumspakt‹ (1992) und dem ›Fiskalvertrag‹ (2012) gelten. Wurden sie in der Vergangenheit hauptsächlich gegen andere Mitgliedsländer angewandt, werden sie in jüngerer Zeit auch gegen Deutschland in Anschlag gebracht.
Den Verfassungsauftrag aus Artikel 109, die öffentlichen Ausgaben ohne Kredite zu finanzieren, konnte und kann der deutsche Staat seit Beginn nicht erfüllen. Dazu konnte er weder seine Bürger:innen und die Unternehmen ausreichend hohen Steuern auferlegen, noch alle seiner Bürger:innen und Unternehmen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit in die Pflicht nehmen. Offenbar besteht dieses Unvermögen insbesondere gegenüber den Bürger:innen mit hohem Einkommen und großen Vermögen – und nimmt mit der Höhe der Einkommen und Vermögen zu. Auch die steigenden Ausgaben der jüngeren Vergangenheit konnte der Staat nicht durch höhere Steuern oder durch die Verbesserung der Steuereinnahmen finanzieren. Politisch werden ›höhere Steuern‹ für die besonders Reichen ins Spiel gebracht; durchsetzen ließ sich dies (wenigstens bislang) nicht. 1997 wurde die Vermögensteuer ausgesetzt, sodass seither niemand in Deutschland eine Vermögensteuer zahlt. Mehr als über die Verbesserung bei den Steuereinnahmen wird daher über eine höhere Kreditaufnahme und dazu über eine Auflösung der Schuldenbremse diskutiert. Aber auch dafür gab es in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode keine ausreichend große politische Mehrheit. Vor allem daran dürfte die Ampelkoalition – nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes über das zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 – gescheitert sein. Das ungelöste Problem und der Streit um die Schuldenbremse werden auch in der nächsten Legislaturperiode bestehen. So bleiben der Bundesrepublik ›Steuern‹ und ›öffentliche Verschuldung‹ als ideologisch hoch aufgeladene Streitthemen erhalten.
In dem Themenheft von Ethik und Gesellschaft sollen diese Streitthemen unter der Maßgabe der Gerechtigkeit bearbeitet werden. Angesichts des notwendig steigenden Bedarfs öffentlicher Ausgaben wird gefragt, wie die öffentlichen Finanzen sowohl ausreichend als auch gerecht geregelt werden sollen. Gegenüber dem Versprechen, mit ›weniger Staat‹ käme man in Deutschland weiter, wird gefragt, ob steigende öffentliche Ausgaben zur Bewältigung der anstehenden Zukunftsaufgaben und für eine Zukunftsfähigkeit der demokratischen Gesellschaft tatsächlich unvermeidbar und daher politisch durchgesetzt werden sollen. Angesichts der sich daraus ergebenden ›Umverteilung‹ von unten nach oben wird gefragt, ob die politisch einfachere Lösung, die zunehmende Verschuldung des Staates, tatsächlich die bessere und vor allem gerechte Lösung knapper öffentlicher Haushalte ist. Ebenso wird gefragt, ob und wie der Staat das Leistungsvermögen der Gesellschaft auf dem Weg der Steuern besser mobilisieren und wie er die Einkommens- und Vermögenstarken Bürger:innen stärker und wirksamer zur Finanzierung der öffentlichen Ausgaben heranziehen kann. Infrage steht auch die grundgesetzliche Schuldenbremse. Sollte sie gelöst oder wenigstens gelockert werden, um den deutschen Staat hinsichtlich großer Zukunftsaufgaben wieder handlungsfähig zu machen, – und wenn ja, wie?
Redaktion: Matthias Möhring-Hesse.
1/2026: Kein Spiel. Wargaming und Serious Gaming im Zeitalter der KI
Kann Krieg spielerisch erlernt werden? Ist es ethisch vertretbar, die Bekämpfung gegnerischer Einheiten in einem Gaming-Szenario zu trainieren? Birgt die Darstellung realitätsnaher Trainings als ›spielerische Simulation‹ die Gefahr, die kategoriale Unterscheidung zwischen simulierten Szenarien und realen Konflikten zu verwischen?
Diese Fragen sind nicht bloß theoretischer Natur, sondern spiegeln eine bereits existierende Praxis wider. Weltweit setzen militärische und zivile Organisationen zunehmend auf Game-based Learning und Serious Gaming, um komplexe und kritische Fähigkeiten zu schulen, ohne dabei reale Risiken einzugehen. Diese Entwicklung wirft ethische Fragen auf, die friedenspolitische, militärische, technologische und zivilgesellschaftliche Aspekte gleichermaßen betreffen und einer interdisziplinären Auseinandersetzung bedürfen.
Die Beiträge des Themenheftes können auf technikethische Überlegungen zur moralischen Qualität ebenso wie auf den epistemologischen, phänomenologischen oder ontologischen Status solcher Simulationen fokussieren. Gleichermaßen sind militär- und friedensethische sowie zivilgesellschaftliche Überlegungen zur möglichen Vermischung von Realität und Simulation ausdrücklich willkommen. Wir begrüßen interdisziplinäre, empirische Studien sowie Beiträge aus der militärischen Praxis, der Spielebranche und der Games-Forschung.
Redaktion: Kathrin Bruder, Lukas Johrendt, Gerhard Schreiber
Schreiben für ethikundgesellschaft