Steuergerechtigkeitsperspektiven in Zeiten fiskalischer Transformation

Versuch einer kritischen Einordnung

Autor/innen

DOI:

https://doi.org/10.18156/eug-2-2025-art-3%20

Abstract

Dieser Beitrag analysiert die Idee der Steuergerechtigkeit im Kontext umfassender gesellschaftlicher und fiskalischer Transformationen. Während Steuergerechtigkeit historisch zunächst vorrangig mit der Legitimation politischer Herrschaft verknüpft war, ist sie heute weitgehend zu einer Frage administrativer Verteilungsmechanismen geworden. Grundlegende politische Fragen – warum Zwangsabgaben überhaupt legitim sind, wer beitragspflichtig ist oder wie staatliche Einnahmen gerechtfertigt werden – sind durch Detaildiskussionen über faire Lastenverteilung und effiziente Steuererhebung verdrängt worden.

Der Text zeigt, dass moderne Steuerordnungen auf bestimmten unausgesprochenen Prämissen beruhen: der Allgemeinheit und Gleichheit der Steuerpflicht, der Monetarisierung staatlicher Einnahmen, der Bindung an eine Währung und dem Individuum als steuerlichem Referenzpunkt. Diese Prinzipien sind jedoch historisch jung und kulturell spezifisch. Zugleich geraten traditionelle Annahmen wie die komplementäre Beziehung von Steuern und Schulden unter Druck, da neue Verschuldungsformen klassische demokratische Kontrollmöglichkeiten bisweilen umgehen und strukturelle Ungleichheiten bei steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten verstärken. Verschiedene moderne Beispiele, nicht zuletzt die USA, zeigen überdies, wie institutionelle Pfadabhängigkeiten, eine scheinbar ‚gerechte‘ Belastung und Entlastung von Arbeit, Produktion und Konsum langfristig zu wachsender Verschuldung, sozialer Ungleichheit und politischen Reformblockaden führen können.

Vor solchen Hintergründen argumentiert der Beitrag für ein erweitertes Verständnis von Steuergerechtigkeit, das nicht nur Steuerlastverteilung, sondern auch politische Machtverhältnisse, wirtschaftliche Rahmenbedingungen, historische Einnahmeformen und globale Zusammenhänge einbezieht. Steuergerechtigkeitsanliegen sollten daher nicht allein moralphilosophisch begründet werden, sondern in Politische Gesellschaftstheorie eingebettet werden, die ihre eigenen normativen Voraussetzungen offenlegt. Denn angesichts globaler Ungleichheiten, wachsender Schuldenberge und neuer finanzpolitischer Instrumente wirken klassische Modelle der Steuergerechtigkeit unzureichend und reformbedürftig.

Autor/innen-Biografie

Sebastian Huhnholz, Freie Universität Berlin, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Lehrstuhl Politische Theorie und Rechtstheorie

Sebastian Huhnholz vertritt im Winter- und Sommersemester 2025-26 die Professor für Politische Theorie und Rechtstheorie an der FU Berlin. Er studierte Sozialwissenschaften an der HU Berlin, promovierte an der LMU München, habilitierte sich ebenda und ist seit 2025 Gastwissenschaftler am Hamburger Institut für Sozialforschung in der Forschungsgruppe „Monetäre Souveränität“. Forschungsforschungsschwerpunkte liegen im Bereich Politischer Theorien internationaler und imperialer Beziehungen, überdies bei politiktheoretischen Methoden, insbesondere der historischen Semantologie politisch-sozialer Grundbegriffe sowie der Ideen-, Intellektuellen- und Theoriegeschichte demokratischer Staatsfinanzierung mit Schwerpunkten bei einzelnen Klassiker/innen und deren politischer Wirkung.

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Veröffentlicht

13.12.2025