Vom gewährleistenden Staat zum »Gewährleistungsstaat« – und (vielleicht) zurück
Sozialpolitik über die Verantwortung des Staates für Gemeingüter
DOI:
https://doi.org/10.18156/eug-2-2022-art-4Abstract
Gegenüber dem damals wirkmächtigen Narrativ vom »schlanken Staat« erfand man in den 1990er-Jahren den »Gewährleistungsstaat«. In einer »story of rising« stellte man einen starken, dabei gemeinwohlorientierten Staat in Aussicht – einen neuen und modischen Staat »auf der Höhe der Zeit«. Als Gewährleistungsstaat entspricht der Staat der über die Zeit gewachsenen Staatsbedürftigkeit der Gesellschaft – und dies dadurch, dass er die Gesellschaft für deren Gemeinwohlbelange aktiviert und sich dazu »in die Gewährleistung« zurückzieht. Das Narrativ vom Gewährleistungsstaat wurde in Deutschland hegemonial und prägt bis heute das dominante Bild vom Staat. In dem Beitrag wird dieses Narrativ vorgestellt und dabei u.a. die etatistischen Untertöne in der Erzählung vom bescheidenen, lernenden und kooperierenden Staat aufgeklärt. Nur mit seinem geheimen Etatismus kann der Gewährleistungsstaat auf dem sozialpolitischen Feld in Geltung gesetzt werden, nämlich im Zuge der Modernisierung der sozialstaatlichen Gewährleistung u.a. durch verschärfte staatliche Kontrolle und Steuerung der Anbieter von gesellschaftlich gewünschten Dienstleistungen. Der Beitrag erklärt, wieso der Gewährleistungsstaat trotz (oder besser: gerade wegen) seines konventionellen Inhalts als »story of rising« erzählt werden und so die neoliberale Staatskritik narrativ »erledigen« konnte.