Nr. 2 (2010): Der ganz alltägliche Rassismus
Gebannt und erschrocken schauen wir nach »rechts«, erschaudern über Aufläufe
von Neonazis und über rechte Gewalt gegen Ausländerinnen und Ausländer. Doch
die Geisteshaltung und die Einstellungen »dahinter« sind keine Sachverhalte nur
am Rande, sondern sind in der Mitte der Gesellschaft zu finden. Gleichgültig, ob
man sie mit ›Rassismus‹ oder anderen Begriffen benennt, die stereotypisierende
Auszeichnung von Unterschieden, die Abwertung derer, denen diese Unterschiede
zugerechnet werden, und politische Aktivitäten, soziale Zusammenhänge über der-
artige stereotypische Unterscheidungen zu ordnen, bestimmen die bundesdeutsche
Gesellschaft – und zwar weit über den Kreis der Menschen hinaus, die sich in rechts-
radikalen Vereinigungen und Parteien organisieren. Auch Christen und die Kirchen
sind davon nicht ausgenommen. Im Gegenteil: Zum Beispiel über ihre »Abwehr« des
Islams im eigenen Land bedienen auch Christen einen gesellschaftlich tolerierten Anti-
islamismus, mehr noch: forcieren ihn und besorgen ihm gesellschaftliche Akzeptanz.
In diesen und anderen Fällen dienen christliche Einstellungen und Überzeugungen als
Grund für stereotypische Zuschreibungen, Abwertungen und Ausgrenzungen von ver-
meintlich abweichenden, gefährlichen Einstellungen und Überzeugungen anderer. Mit
dieser Ausgabe stellt sich »Ethik und Gesellschaft« die Frage, ob und wie sich der all-
tägliche Rassismus unter Christen und in ihren Kirchen »eingenistet« hat und ob und
wie die im Christentum und in den Kirchen »heimischen« rassistischen Einstellungen
und Überzeugungen den bestehenden Alltagsrassismus fördern. Da sich der im Chris-
tentum heimische Rassismus – gegenüber »dem Islam« – auch der Gleichberechti-
gung von Frauen bedient, obgleich die häufig gegen das Christentum und die Kirchen
erkämpft werden musste und muss, wird auch nach der Relevanz dieses Arguments
für den Alltagsrassismus gefragt. Wenngleich unter Christen verbreitet, ist Rassismus
Häresie – die Bestreitung genau dessen, was Christen von dem im Christentum über-
lieferten Gott erhoffen: Das Heil für alle Menschen.