Was verstehen die Päpste vom Kapitalismus? Einige Beobachtungen zu den beiden ersten Sozialenzykliken
DOI:
https://doi.org/10.18156/eug-sh-2011-art-2Abstract
In den beiden hier untersuchten Sozialenzykliken, Rerum Novarum (Leo XIII., 1891)und Quadragesimo Anno (Pius XI., 1931), geht es ist nicht um eine Analyse der Funk-
tionsweise des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Leo XIII. schaut von der »Arbei-
terfrage« her auf den Kapitalismus, führt diesen sozialen Konflikt aber primär auf
eine Abkehr der Menschen von der überkommenen Gesellschaftsordnung und von
der kirchlichen Sittenlehre zurück. Statt einer Rückkehr zur Ständegesellschaft pro-
pagiert er allerdings eine Zivilisierung des sozialen Konflikts durch die Kirche, durch
Vereine – und durch den Staat. Den Klassenkonflikt begreift er vor allem als einen
Gegensatz zwischen Reich und Arm, der durch die Habgier auf beiden Seiten ange-
stachelt werde. Nur in seiner Reflexion auf den gerechten Lohn fragt er sehr präzise
nach der Ohnmacht der Lohnarbeiter. 40 Jahre später geht es Pius XI. nicht zuerst
um den Reich-Arm-Gegensatz, sondern um Machtasymmetrien in der kapitalistischen
Wirtschaft. Er problematisiert die Macht der Kapitalbesitzer, die ganze Wirtschaft nach
eigenen Vorstellungen zu organisieren. Konkret beklagt er für die frühen 1930er Jah-
re die ungeheure Machtfülle der Lenker der Konzerne und Großbanken sowie die
Schwäche der nationalstaatlichen Regierungen ihnen gegenüber.
Both encyclicals, Rerum Novarum (Leo XIII., 1891) and Quadragesimo Anno (Pius
XI., 1931), do not analyze the functionality of the capitalistic economic order. Leo
XIII. looks at this economic order from the viewpoint of the «Social Question». In his
view the social conflict is rooted in the renunciation of the traditional social order
as well as of the moral teaching of the church. Instead of returning to a social
order of estates by birth he favors a pacification of the social conflict through the
church, associations – and the state. He grasps the class conflict mainly as an
antagonism between rich and poor, which is spurred on by greed on both sides.
Only in reflecting on fair wages he examines the powerlessness of the worker.
40 years later, Pius XI. is not so much concerned with the antagonism between
rich and poor but with the asymmetries of power within the capitalistic economy.
He expounds the problem of the power of capitalists, who can organize the whole
economy in accordance with their interests. Concretely he deplores in the early
1930s the tremendous power of the leader of corporations, trusts and banks as
well as the complementary weakness of national governments.