Nr. 1 (2011): Risiken und Nebenwirkungen – Ökonomisierungsfolgen im Gesundheits- und Sozialwesen

					Ansehen Nr. 1 (2011): Risiken und Nebenwirkungen – Ökonomisierungsfolgen im Gesundheits- und Sozialwesen

Tendenzen zur Ökonomisierung werden schon seit längerer Zeit im Sozial- und Ge-
sundheitswesen thematisiert. Diese zeigen sich auf der einen Seite in den Bestre-
bungen, Soziale Arbeit, Pflege und auch die Medizin als »Dienstleistung« zu kon-
zeptionalisieren und in der Praxis daran auszurichten. Auf der anderen Seite werden
Gesundheitsleistungen zu »knappen Gütern«, über deren Verteilung und Finanz-
ierung erbittert gestritten wird. Schließlich machen ökonomische Tendenzen auch
vor schulischer, beruflicher und hochschulischer Bildung nicht halt: damit verän-
dern sich nicht nur Ziele und Inhalte der (Aus-)Bildung, die Veränderungen haben
auch Folgen für die Schülerinnen und Schüler sowie die Studentinnen und Studen-
ten.
Damit reichen diese Tendenzen weit über die Adaption betriebswirtschaftlicher Steu-
erungsinstrumente hinaus und nagen am Selbstverständnis der in den Feldern des
Gesundheits- und Sozialwesens beheimateten Professionen. So ergibt sich die Fra-
ge, was diese Entwicklungen bedeuten und wie sie ethisch einzuschätzen sind. Ver-
trägt sich die Vorstellung der Sozialen Arbeit oder der Pflege als »Dienstleistung«
mit Theorie und Praxis dieser Professionen? Welcher Art sind die »Produkte« dieser
Praktiken und wer bringt sie hervor? Ist die mit den Methoden der Qualitätssicher-
ung und des Qualitätsmanagements verbundene Technisierung dieser personen-
und körpernahen Tätigkeiten überhaupt leistbar – und ist sie ethisch vertretbar?
Wenn sich die Bereitstellung von Sozial- und Gesundheitsleistungen unter Knapp-
heitsbedingungen vollzieht müssen Kriterien ausgewiesen werden können, welche
die Verteilung dieser Güter rechtfertigen. Reichen dafür klassische Ansätze der
Verteilungsgerechtigkeit aus oder betrifft die Vorenthaltung entsprechender Güter
auch die Anerkennungsdimension? Die gegenwärtig zu beobachtenden Verschie-
bungen im Sozial- und Gesundheitswesen betreffen nicht allein die Oberfläche ihrer
verteilungstheoretischen Struktur, sie reichen in die Fragen des Selbstverständnis-
ses, nicht nur der involvierten Personen, sondern auch der Gesellschaft insgesamt.

Veröffentlicht: 01.06.2015