Nr. 1 (2023): Religionen als Brandstifter – Religionen als Friedensstifter
Bild: Pierre Maublanc (1582-ca.1637), Massacres de la guerre [Szene aus dem Dreißigjährigen Krieg], 1636/37, Musée du Temps, Besançon.
Der Ukraine-Krieg und der zugrundeliegende Konflikt werden häufig aus friedensethischer und politischer Perspektive diskutiert, aber noch relativ wenig unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung der Religion. Religiöse Legitimierungen von kriegerischen Handlungen und religiös motivierte Friedensappelle sind und waren allerdings stets ein wichtiger Teil des öffentlichen Diskurses – und für die Theologische Ethik und Sozialwissenschaften, die Politikwissenschaften und die Soziologie relevante Forschungsfelder. In dieser Ausgabe wird die Rolle der Religion bzw. der Religionsgemeinschaften in der europäischen Konfliktarchitektur näher beleuchtet und erörtert.
Die Frage nach den Kriegs- und Friedenspotentialen von bzw. in Religionen steht im Mittelpunkt und wird aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert. Dabei spielen folgende Fragenkomplexe eine Rolle:
- Welche Stellung nehmen Religionsgemeinschaften in sich wandelnden politischen Kontexten, insbesondere in Krisensituationen ein?
- Inwiefern finden sich in Religionsgemeinschaften Positionen, die das normative Projekt der Moderne (hier grob verstanden als Realisierung von Demokratie und Menschenrechten) befürworten und somit friedensstiftendes Potential entfalten können?
- Wo finden sich kriegsbefürwortende bzw. -rechtfertigende Positionen innerhalb von Religionsgemeinschaften oder auch Traditionslinien des politischen Autoritarismus, die mit anti-demokratischen Tendenzen und u.U. mit Nationalismus, Rassismus oder Sexismus einher gehen?
- Wo finden sich friedensethische Traditionslinien und Konzepte innerhalb von Religionen sowie entsprechende religiöse Akteure, die für Friedfertigkeit, Gewaltverzicht oder sogar für Pazifismus eintreten?
- Wie steht es mit der Kriegsbefürwortung in der Bevölkerung und ist womöglich ein Zusammenhang zwischen Religiosität und einer positiven Haltung zum Krieg festzustellen? Spielt Religion bei der Ausbildung einer autoritären Persönlichkeitsstruktur eine Rolle?
- Welche Bedeutung hat Religionspolitik für eine europäische (Außen)Politik in Kriegszeiten? Und wie kann Europa vor dem Hintergrund politisch relevanter religiöser Konfliktlinien in der aktuellen Situation zusammenhalten?
Der Diskurs über den Zusammenhang von Religion und Frieden bzw. Religion und Gewalt wird in verschiedener Hinsicht diskutiert: erstens mit Blick auf verschiedenen Religionsgemeinschaften und deren unterschiedliche Theologien; zweitens nicht nur synchron, sondern auch diachron mit Blick auf bestimmte Traditionslinien und Entwicklungsprozesse innerhalb von Religionsgemeinschaften; drittens mit Blick auf verschiedene Akteure, wie z.B. religiöse Führungspersönlichkeiten oder religiös geprägte internationale Organisationen. Letztlich geht es darum, einen Überblick zu gewinnen, inwiefern Religion eine ambivalente Rolle in Konfliktkonstellationen spielt.
Redaktion: Oliver Hidalgo, Christian Spieß, Katja Winkler, Alexander Yendell.
Im Rezensionsteil werden 16 Neuerscheinungen aus unterschiedlichen Disziplinen vorgestellt. Ein Schwerpunkt liegt auf Publikationen zu den Themen Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Trans- bzw. Posthumanismus. Aus der politischen Theorie und Soziologie werden die neuen Bücher von Thomas Biebricher, Axel Honneth, Stephan Lessenich und Martha Nussbaum besprochen. Hinzu kommen Rezensionen aktueller Bücher zu ›Normativen Ordnungen‹, zu Terror und Theologie, zur Soziologie der katholischen Kirche und zum Protestantismus der Nachkriegszeit. Zudem werden neue Titel zur Hermeneutik biblischer Texte, zur Ökotheologie sowie zu Postkolonialen Theologien besprochen.
Redaktion: Hermann Josef Große Kracht und Tim Eckes